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Ist Europas beliebteste Baumart noch zu retten?

19.02.18

Ist Europas beliebteste Baumart noch zu retten?

Die Zukunft der Rosskastanie

Photo: Stefan Hauser

 

Diese Frage bereitet aktuell vor allem Verantwortlichen für öffentliche Grünräume - wie Alleen, Gärten und Parkanlagen - sowie Denkmalschützern Kopfzerbrechen. Gibt es doch neben der "Gewöhnlichen Rosskastanie" kaum eine andere Baumart, zu der der Mensch eine engere Beziehung hat und der gerade in historischen Gartenanlagen derartig große kulturelle Bedeutung zukommt.
Grund der Sorgen sind neue Phytopathogene, wie das Bakterium Pseudomonas syringae pv aesculi und pilzähnliche Phytophtora-Organismen, die in den letzten Jahren zunehmend einzeln oder gemeinsam für das aktuelle "Kastaniensterben" verantwortlich gemacht werden.


Die Österreichische Gesellschaft für historische Gärten (ÖGHG) hat daher gemeinsam mit den Bundesgärten (ÖBG) am 13. und 14. Oktober 2017 ein internationales Arbeitsgespräch zum Thema: "Gefährdung, Bedeutung und Zukunft der Gewöhnlichen Rosskastanie (Aesculus hippocastanum L.) in historischen Gartenanlagen" an der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn (HBLFA) veranstaltet, an dem einschlägige Experten und Gartenverantwortliche aus dem deutschsprachigen Raum teilgenommen haben.


Die wichtigsten Ergebnisse aus den Expertenempfehlungen und den praktischen Erfahrungsberichten der Teilnehmer/innen waren vor allem mögliche vorbeugende und gezielte Maßnahmen für die Gesunderhaltung bestehender Bäume sowie die Notwendigkeit der Infektionsfreiheit bei Neupflanzung von Jungbäumen. Ältere Bäume können auch mit deutlich sichtbaren Schadsymptomen im Stammbereich durch die beiden Phytopathogene ohne zusätzlichen Befall durch holzzerstörende Pilze oder andere Schädigungen noch längere Zeit überleben, ohne dass dadurch ihre Standsicherheit akut gefährdet ist. Wertvolle Altbäume sollten daher nicht vorschnell gefällt werden!


In den letzten Jahren nahmen Rindennekrosen mit typischem Saftfluss ("Teerflecken") an Stämmen älterer sowie ein vermehrtes Absterben junger weiß- und rotblühender Kastanienbäume (Aesculus hippocastanum, Aesculus x carnea) besorgniserregend zu. Als Verursacher konnten sowohl ein sich seit 2002 in der EU ausbreitendes Bakterium als auch pilzähnliche Phytophtora-Arten identifiziert werden. Da die Schadenserreger einzeln oder auch gemeinsam auftreten und anhand der Schadbilder mit freiem Auge nicht bestimmt werden können, werden sie mit dem alarmistischen Sammelbegriff "Kastaniensterben" bezeichnet.


Die rasche Ausbreitung der Krankheitserreger hatte in den vergangenen Jahren nicht nur die vermehrte Fällung gefährdeter Kastanienbestände, sondern auch die Empfehlung zum Verzicht auf Neupflanzungen zur Folge. Da ein solcher Verzicht auf Nachpflanzungen gerade an historischen Standorten aus Sicht des Gartendenkmalschutzes äußerst problematisch erscheint, entschlossen sich die Österreichische Gesellschaft für historische Gärten (ÖGHG) und die Bundesgärten, ein internationales Arbeitsgespräch an der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn (HBLFA) zu diesem aktuellen Problem abzuhalten.
Als Keynotespeaker konnten gewonnen werden:
* zum Grundlagenthema "Die Einführung der Rosskastanie nach Europa" der Pflanzenhistoriker und ehemalige Direktor des Botanischen Gartens und Botanisches Museums Berlin Prof. Dr. H. Walter Lack
* zum Fachthema "Rosskastanie - Biotische und abiotische Schadfaktoren" der Biologe und Phytopathologe vom Österreichischen Bundesforschungszentrum für Wald Dr. Thomas Cech
* zum Fachthema "Vorbeugende und mögliche alternative Kulturmaßnahmen gegen pathologische Schäden an Aesculus hippocastanum sowie fachgerechte Pflanzung und pflege als Stadt- und Alleebaum" der Leiter der Abteilung Gehölzkunde und Baumschulwesen der HBLFA, Dipl. Ing. Thomas Roth
* zum Fachthema "Verbreitung und Verwendung der Rosskastanie in Europas Gärten und ihre Bedeutung in der Gartendenkmalpflege" Dr. habil Clemens Alexander Wimmer, Potsdam


In seinem Einführungsvortrag referierte Prof. H. Walter Lack über den Weg der Rosskastanie im 16. Jahrhundert von den ursprünglichen Standorten in den Schluchten des Balkans über das Osmanische Reich nach Wien und von hier weiter in alle Länder Mitteleuropas. Nachdem die mitteleuropäische Kastanienpopulation offensichtlich von wenigen Elternpaaren abstammt, sei eine geringe genetische Breite naheliegend. Diese könne für das epidemieartige Auftreten des "Kastaniensterbens" in ganz Europa mitverantwortlich sein. Eine gezielte Erweiterung der genetischen Variabilität aus den ursprünglichen Standorten am Balkan könnte künftige Resistenzbildungen beschleunigen und zur Gesundung der europäischen Rosskastanienbestände beitragen. Die spontane Zusage des Direktors der HBLFA HR Dipl. Ing. Gottfried Kellner, sowohl die Sammlung von Pflanzenmaterial an den endemischen Standorten als auch dessen Einkreuzung praktisch und wissenschaftlich durch die HBLFA zu unterstützen, wurde als vielversprechende Möglichkeit zur Rettung der mitteleuropäischen Kastanienbestände von den Teilnehmern besonders begrüßt.
Der Phytopathologe Dr. Thomas Cech bestätigte in seinem Vortrag, dass neben den bisherigen Schadfaktoren wie Miniermotte, Blattbräunepilz oder Verticillium-Welke in den letzten Jahren vor allem folgende Stamm- und Wurzelschäden für das "Kastaniensterben" verantwortlich zeichnen:
Das erstmalig in England und Frankreich aufgetretene Bakterium Pseudomonas syringae pv. Aesculi. Dieses könne - neben allen anderen Kastanienarten - vor allem die wegen ihrer Widerstandsfähigkeit gegen die Miniermotte zuletzt vermehrt gesetzte rotblühende Art (Aesculus x carnea) schädigen. Vor allem bei Jungbäumen könne der Befall zum Absterben, bei älteren Bäumen zu Vitalitätsverlusten und Verminderung der Lebensdauer führen. Die Schadsymptome seien sehr unterschiedlich und reichten von Kronenverlichtungen über Rindennekrosen mit Saftfluss am Stamm bis zum Absterben der Bäume.
Das auch zahlreiche andere Baumarten angreifende Pathogen Phytophtora spp. sei vor allem mit den Arten P. cactorum, P. cambivora und P. plurivora für Kastanienbestände gefährlich. Es befalle Bäume aller Altersstufen und verursache schüttere Kronen durch Blattvergilbung, Chlorosen und Kleinblättrigkeit sowie mit der Zerstörung des Kambiums Rindennekrosen und Saftfluss. Befallene Pflanzen könnten innerhalb weniger Jahre absterben.
Die Verbreitung beider Pathogene erfolge bei Neu- bzw. Nachpflanzungen durch infiziertes Baumschulmaterial sowie kontaminiertes Bodensubstrat, bei Altbäumen vorwiegend durch verunreinigte Schnittwerkzeuge, Staunässe und damit verbundene offene Wasserflächen.


Als Leiter der Abteilung Gehölzkunde und Baumschulwesen an der HBLFA Schönbrunn näherte sich Dipl. Ing. Thomas Roth in seinem Vortrag über "Vorbeugende und mögliche alternative Kulturmaßnahmen gegen pathologische Schäden an Aesculus hippocastanum sowie fachgerechte Pflanzung und Pflege als Stadt- und Alleebaum" dem Thema aus der aktuellen Praxis. Um die Verbreitung der Pathogene mit infizierter Baumschulware zu verhindern, zeichne sich die Kultur der Jungpflanzen in erdenlosen Substraten ("pea gravel pad") und damit Auslieferung und Pflanzung als "wurzelnackte Ware" als vielversprechende Alternative zur derzeitig üblichen "Ballenware" ab. Große Bedeutung für die Gesunderhaltung komme auch der Neuauspflanzung in ein infektionsfreies, durchlässiges und verdichtungsresistentes Substrat sowie für Jung- und Altbäume die Vermeidung von Trockenheit und Staunässe durch ausgewogene Wasserversorgung zu.


Der Gartenhistoriker Dr. Clemens Alexander Wimmer bestätigte in seinem Vortrag zur "Verbreitung und Verwendung der Rosskastanie in Europas Gärten und ihre Bedeutung in der Gartendenkmalpflege" den hohen Stellenwert der Rosskastanie als Gestaltungselement in historischen Gärten. Oberstes Ziel sei es daher, bei Nachpflanzungen "möglichst nah am Original zu bleiben und Abweichungen zwischen Original- und Ersatzpflanze möglichst gering zu halten". Ein Ausweichen auf alternative, robustere Pflanzenarten dürfe nur "der Weisheit letzter Schluss sein!"


Als Ergebnis aus den Vorträgen und Diskussionsbeiträgen der TeilnehmerInnen können folgende, vorwiegend vorbeugende Strategien zur Gesunderhaltung mitteleuropäischer Kastanienbestände zusammengefasst werden:
- Gesunderhaltung bestehender Pflanzen:
Da die Entwicklung beider Krankheitserreger durch extreme Unterschiede in der Wasserversorgung gefördert wird, sind künftig sowohl ausreichende Bewässerungsmaßnahmen bei langen Trockenperioden, als auch die Verhinderung von Staunässe nach Starkniederschlägen durch Bodenverdichtung im Wurzelbereich empfehlenswert. Eine weitere wichtige vorbeugende Maßnahme gegen die Übertragung der Krankheitserreger ist die Desinfektion der Schnittwerkzeuge.
- Bei Neu- bzw. Nachpflanzungen ist unbedingt auf nicht infizierte Pflanzen und Substrate zu achten. Da beide Krankheitserreger bodenbürtig sind, wäre statt ballierter die Verwendung wurzelnackter Baumschulware vorzuziehen. Das Substrat am Pflanzstandort muss ebenfalls frei von Krankheitserregern sowie durchlässig und verdichtungsresistent sein.


10.2.2018

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